Samstag, 1. Dezember 2012

Gedankenstützen

 

Kriegskosten

Israel und seine liebevollen Nachbarn bekriegen sich schon seit fast hundert Jahren. Kriege kosten Geld, Geld das durch Kriege grundsätzlich vergeudet ist. Die Wirtschaft produziert Waffen, die man nicht essen und mit denen man ausser Toten nichts produzieren kann. Die einen tun das, weil sie andere hassen und zerstören wollen, während diese anderen Waffen produzieren müssen, um sich zu verteidigen. Diese „Anderen“ sind Israel. Israel hat eine blühende Wirtschaft, sowie einen Ueberschuss an Talenten und kann daher seine selbst erfundenen und selbst hergestellten Waffen exportieren. Darin ist Israel weltweit einer der Marktführer. Mit dem damit verdienten Geld kann in Lebensmittel und Produktionsmittel investiert werden, sodass das Ganze doch noch einen positiven Effekt hat. Doch glaubt mir, Israel würde liebend gerne friedliche Produkte herstellen, friedliche Produkte erfinden und noch mehr Nobelpreise verdienen – wenn die bösen Nachbarn es zulassen würden. Sogar mit einer rechtsextremistischen Regierung, wie die heutige.

Anders ist es mit Israels Nachbarn. Daher die Frage: was waren die wirklichen Kosten dieser Kriege für die arabische Welt und ihr Volk. Die noch schwierigere Frage, die keiner Araber zu fragen wagt: was sind die realen Kosten der Nichtanerkennung Israels in 1948 und warum investierten die arabischen Staaten ihre Gelder nicht in Bildung, im Gesundheitswesen und in Infragstrukturen statt Kriegen? Die schwierigste Frage, die ebenso kein Araber hören will, ist ob Israel tatsächlich der wirkliche Feind der arabischen Welt und des arabischen Volkes ist? 

Diese Frage stellte vor zwei Monaten Abdulateef al-Mulhim in der „Arab News“ vom 6. Oktober 2012. Meine erste Reaktion war: „Lebt Abdulateef noch“. Ich habe bisher noch nichts gegenteiliges gehört. 

Doch „Spass“ beiseite. Was Abdulateef schreibt ist das Grundlegenste, das eigentlich die arabische Welt bewegen sollte, es aber nicht tut. Der UNO-Bericht zur sozialen Entwicklung analysiert das alle paar Jahre. Eine intelligente Zusammenfassung fand ich in der TAZ.  

Keiner soll mir entgegnen Israel sei an dieser arabischen Misere schuld. Was solches erzählt bestätigt damit bestensfalls seine eigene Dummheit und Ignoranz.

Demokratie in Israel

Dieser Tage fanden die Primaries für die im Januar 2013 stattfindenden Knessetwahlen statt. Erst die Primaries des Likud, dann die der Arbeitspartei. Bei dieser nahmen Lea und ich teil, sind wir doch Parteigenossen. Früher waren wir Unterstützer der Meretz Partei, zu der wir als ehemalige Kibbutznikim (Haschomer Hazair) der ebenso ehemaligen marxistischen Mapam gewisse Sympathien hegten. Die Urnen standen im ultraorthodoxen Hotel Eden-Inn in Zichron Yaakov. Das ist das Hotel, in dem die Fenster des Hallenbades mit Leintüchern abgedeckt werden, wenn sich die Frauen baden. Vor der Eingangstüre stehen dann bärtige Wächter in schwarzer Kluft, die haredische Keuschheit der Badenden hütend. Doch das gehört nicht zu den Wahlen, ich bin abgeschweift und entschuldige mich dafür. Aber eigentlich doch nicht ganz! Denn Primaries gibt es in ultrareligiösen Parteien nicht, der herrschende Rabbi bestimmt, welche Männer (Gott behüte, ja keine Frauen) ihn im Knesset vertreten dürfen. Eine demokratische Feinheit, die zu beachten ist.

Wen traf ich im Wahllokal? Mussa den Dicken mit seiner Frau, aus dem Nachbardorf Faradis. Mussa ist Wirtschaftler und leitet den Betrieb des Karmel-Spitals in Haifa. Verglichen mit ihm bin ich untergewichtig. Doch wie alle Dicken ist er ein lieber Kerl, herzlich und bewusst dankbar in einem demokratischen Land leben zu dürfen. Ich lernte Mussa vor zwölf Jahren während dem arabischen Aufstand in Israel kennen. Er, wie viele vernünftige Einwohner von Faradis, versuchten Frieden zu stiften und die fanatische islamistische Jugend seines Dorfes unter Kontrolle zu halten, was erst nach zwei Tagen gelang. Die Polizei, die sich fürchtete sich ins Dorf hinein zu begeben, hatte daran wenig Anteil. Mussa und eine grössere Anzahl Geschäftsleute und Lehrer errichteten ein grosses „Friedenszelt“. Ich möchte hier meinen damaligen Eintrag in Uris Tagebuch einfügen, da er noch in der Vorblogzeit geschrieben worden ist. Ich denke, er ist gerade heute wieder interessant: 

22.10.2000 – Im Friedenszelt in Faradis

Hochinteressanter Abend im Zelt in Faradis. Gegen 150 Leute kamen und es wurde sehr offen gesprochen. Die Frustration der Araber ist spürbar, wird auch offen ausgesprochen. Ihre Lebensbedingungen sind schlechter, die Arbeitslosigkeit hoch, sie fühlen sich in der israelischen Gesellschaft nicht akzeptiert. Einer definiert sich als Palästinenser, ein anderer findet keine Arbeit in irgend einer technischen Sparte, obwohl er ausgebildeter Ingenieur ist. In der Universität Haifa demonstrieren die arabischen Studenten aus genau diesem Grund – man lässt sie studieren und nachher können sie auf dem Bau arbeiten. Das gilt vor allem bei technischen Berufen. Wie ich höre will die linke Meretz Partei von Zichron Ya’akov Faradis für zwei Monate boykottieren, weil sie sich von den dortigen Arabern verraten fühlt. Sehr kindisch, finde ich. Die anwesenden Juden sind alle bereits überzeugte Liberale, die mit der Problematik kein Problem haben. Man überzeugt die bereits Überzeugten.

Gestern sei noch Ami Ayalon dagewesen, Sicherheitsberater von Barak. Morgen komme der stellvertretende Aussenminister, ein arabischer Israeli. Heute war ich da.

Ich hatte den Fotoapparat mit und erhielt von Mussa, dem Leiter der Zeltaktivitäten Bewilligung zu photographieren. Nach zwei Stunden bat mich einer der arabischen Teilnehmer, ob er mit mir reden könne. Dann fragte er mich, warum ich fotografiere. Ich erklärte es ihm. Dann aber er sagte er mir, ich solle es unterlassen – vielleicht hätte es Leute hier, die nicht fotografiert werden wollen. Er traue niemandem, keinem Juden, keinem Araber nur den Hunden und Katzen auf der Strasse. Ich hatte schon genügend Bilder im Kasten, also willigte ich mutig ein. Eine halbe Stunde später schloss ein 20-jähriger Israeli aus einem Kibbutz seine wirklich schöne Ansprache mit den Worten, er suche arabische Freunde. Da stand mein Fotofeind auf und bot sich dazu an und die beiden umarmten sich vor allen 150 Anwesenden. Hätte ich doch diese Szene fotografieren können. Zurückkommend auf die oben erwähnte Fotophobie, eine gewisse Paranoia der arabischen Bürger ist offenbar berechtigt. Im Dorf Faradis werden sie von anderen israelischen Arabern über ihre politische Meinung gefragt, die Antworten geheim auf Band aufgenommen und weitergeleitet. Diese Information bekam ich von einem jüdischen Israeli. Unwahrscheinlich tönt sie nicht. 

Wie ich stimmte Mussa u.a. auch für Raleb Majadle, einem der Kandidaten der Liste. Raleb ist schon lange Knessetmitglied, war schon Minister für Kultur und Sport (den man ihm nicht ansieht) und ist der erste der drei oder vier arabischen Kandidaten auf unserer Soziliste. Das bringt mich auf ein anderes Thema, nähmlich die arabischen Knessetmitglieder. Die meisten „Israelkenner“ wissen gar nicht, dass es arabische Parlamentarier nicht nur in den sogenannten arabischen Parteien gibt. Es gibt sie auch in den grossen Parteien, eben wie der sanfte Raleb in der Arbeitspartei oder ein Druse im Likud, einem antiarabischen Feuerfresser. Sie haben Mut. Erstens nicht aus Prinzip antiisraelisch zu sein und zweitens auch exekutive Verantwortung als Minister zu übernehmen. 

Soweit für heute. 

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