Mittwoch, 23. Mai 2012

Schreibstau




Festliche Eröffnung der Vernissage. Zu sehen sind vor allem "mutige" Juden, die sich nach Umm el-Fahm wagten - und es immer wieder tun.
Said Abu-Shakra und Regula Kuhn

Schmiedeisernes Tor zu einem Herrschaftshaus

Ich weiss nicht ob der alte Geheimrat Goethe je an Schreibstau gelitten hat. Auf jeden Fall leide ich nun schon einige gute Wochen an dieser Krankheit. Der Kopf fühlt sich leer, wenn ich ein bisschen nur auf mein literarisches Erinnerungsvermögen drücke, entkommt nur Luft mit einem lauten Pffffff.

Um mir selbst auf die Sprünge zu helfen, habe ich einige Erfahrungen der letzten Tage und Wochen zusammengekratzt und will sie hier, mit separaten Titeln versehen, stückweise in den kommenden Tagen wiedergeben.

Vernissage in Umm El-Fahm am 19. Mai 2012

Noch immer arbeite ich für „meine“ Kunstgalerie in Israels grösster muslimischer Stadt. Diese Institution, vor etwa fünfzehn Jahren von meinem Freund Said Abu-Shakra gegründet, blüht und gedeiht, unter anderem auch durch Hilfe aus der Schweiz. Eigentlich ist die Galerie eine dreiteilige Organisation. Es gibt die Galerie auf über tausend Quadratmeter Fläche, es gibt denn Treffpunkt für Aktivität von Arabern und Juden und es gibt die Kinderkunstschule. Es ist vor allem die direkte Arbeit mit den Kindern dieser Stadt und ihren benachbarten Dörfern, und das Einbeziehen nichtarabischer und nichtmuslimischer Israelis als ausstellende Künstler, als Kuratoren, Kunstlehrer, Mäzene und anderem, die diesen inzwischen zu einer landesweit anerkannten Institution gewordenen Kunstbetrieb so attraktiv macht. Die Kinderkunstschule ist ein Sozialwerk, das Buben von den Strassen holt und Mädchen vom Hausarrest (etwas überspitzt gesagt) bis zur Heirat rettet. Viele Jugendliche werden damit vor Langeweile und dem dadurch erzeugten Fall in die Drogenszene, religiösen Extremismus und Kriminalität gerettet. Die Galerie wird von der ultrakonservativen Stadtregierung Umm El-Fahms unterstützt. Diese gestattet ihr Aktivitäten durchzuführen, die eigentlich weder orthodoxen Muslimen (noch orthodoxen Juden) erlaubt sind. Mädchen und Burschen aller Altersgruppen malen und töpfern zusammen, spielen Theater zusammen, lernen Kunstgeschichte zusammen und lernen gelegentlich auch Musik. Das Schlüsselwort dazu ist „zusammen“, denn damit werden alte rückwärtsgewandte orientalische Traditionen in Frage gestellt und damit die Herrschaft der Männer dieser Gesellschaften langsam untergraben. Ein erster Schritt in den zivilisatorischen Fortschritt ist damit getan. Doch der Weg ist noch lang und jahrelange Geduld ist gefordert. Das war nicht immer so. In Gesprächen mit Bürgern Umm El-Fahms hörte ich auch nostalgische Sehnsucht nach den Zeiten, in denen die Stadt von Kommunisten regiert worden war und, so wurde mir gesagt, Kultur gross geschrieben wurde. Es hätte drei Kinos und ein Theater gegeben, kulturelle Anlässe und anderes. Heute ist all das auf die Galerie konzentriert – dort wurde schon ein Tag zum Thema Frauenrechte durchgeführt, in die die britische Baroness Helena Kennedy QC (Uris Tagebuch 31.5.2004) die Damen der Stadt in Frauenrechte einführte. Da dieser Tagebuchbericht noch aus meiner Vorblogzeit stammt und daher nicht im Blog zu finden ist, drucke ich ihn am Ende dieses Tagebucheintrags zur Lektüre ab.

Umm El-Fahm von Abu Ayads Aussichtspunkt aus gesehen

Am vergangenen Samstag fand die Vernissage einer neuen Ausstellung statt. Zum Thema „Ort – Zuhause“ stellen siebzehn jüdische und arabische Künstler Gemälde und Skulpturen aus. An sieben verschiedenen Orten: in der Galerie selbst, bei vier Familien in deren Haus und einem Zelt und zwei von israelischen (Arabern und Juden) Studenten restaurierten alten Häusern. Mit zehn Kleinbussen wurden diese besucht. Ich möchte darüber nicht im Detail berichten, sondern nur einige Fotos über diesen Stadtausflug sprechen lassen. 

 

Regula und Walo Kuhn (oben) bei im Atelier von Fuad Aghbaria (rechts). Fuad ist daneben auch Fahrlehrer und Kunstlehrer in einem College.

Abu Ayad und sein Maler
Die Klause von Abu-Ayad. Hier ist der schönste Aussichtspunkt auf Umm El-Fahm.
Neue Villen in Umm el-Fahm
Neue Villen in Umm el-Fahm
Umm El-Fahm, eine sehr photogene Stadt, besonders aus der Ferne betrachtet


31.5.2004 – arabischer Feminismus auf Englisch

Nur mit dem Detail, dass die Vorsitzende des British Council zu Besuch komme und einen Empfang veranstalte, an dem auch viel gegessen werde, forderte Said Abu-Shakra Lea und mich auf, heute in die Galerie in Umm El-Fahm zu kommen. Auf Punkt 12.30 Uhr. Bei Said isst man immer gut.

Was ist dieser British Council? Der British Council ist eine riesige öffentlich-staatliche Organisation, die sich, kurz gesagt, dem Internationalismus verschrieben hat. Sie fördert Wissenschaft und Kultur, Tourismus und viele Arten zwischenmenschlicher Beziehungen. Der British Council ist in 110 Ländern vertreten, stellt Bibliotheken und Informationszentren auf und vermittelt Studienplätze in England für Ausländer und im Ausland für Engländer. Der British Council vermittelt England der Welt und die Welt den Engländern.

Baroness Helena (Rufname Helen) Kennedy QC (Queens Council), ist Mitglied des Oberhauses und hat noch eine Reihe weiterer Beschäftigungen, wie die der Juristin, vor allem vielseitig in der Kriminaljustiz, Vorsitzende des Internationalen Theaterfestivals, Präsidentin des national Kinderbüros, Commissioner der nationalen Erziehungskommission, Vorsitzende der Kommission für menschliche Genetik. Die Baroness Kennedy besitzt fünfzehn Ehrendoktorate, das Zählen der Ehrenposten erschöpft mich. Helen (wir nennen uns in diesen Kreisen beim Vornamen) strahlt Energie aus. Zu all dem vorhin erwähnten ist sie eine überzeugte und erfolgreiche Zivil- und Frauenrechtlerin.
Lea und ich verstanden erst nicht, warum sehr viele arabische Frauen anwesend waren. Nach dem reichlichen Mittagessen auf der Terrasse besammelten wir uns im Theatersaal der Galerie. Hier erst fanden wir heraus um was es in diesem Treffen ging. In ihrer Ansprache berichtete Helena Kennedy über Kurse, die von den britischen Botschaften zum Thema „Frauen im öffentlichen Leben“ durchgeführt werden.  Diese Kurse seien stets ausgebucht und es gäbe Wartelisten. Sie spricht über die soziale Stellung der arabischen Frau, die dreifach benachteiligt sei, durch Traditionen, Religion und die wirtschaftlich-soziale Rückständigkeit ihrer Gesellschaft. Ich hatte das Gefühl, die anwesenden jüdischen Frauen – von der Natur der Sache her alle fortschrittlich gesinnt, modern denkend und selbständig, sonst wären sie gar nicht hier – mussten daran denken, dass es auch in der jüdischen Gesellschaft solche Benachteiligungen gibt. 

Der Neid der arabischen Teilnehmerinnen auf die Powerfrau Helena Kennedy war fühlbar, vielen drückten sich in ihren Fragen an Helena entsprechend aus. Wie, fragte eine, könne sie so viele Ämter bewältigen, der Zeitaufwand müsse gewaltig sein. „Meine Mutter wurde darüber befragt“, erzählte Helen dem Publikum, „sie antwortete: meine Tochter ist eine lausige Hausfrau“. Das sei ihre Antwort. Wenn man für das, wofür man einstehe auch anpacken wolle, sei alles möglich und sie müsse halt Prioritäten setzen. Sie setze sich für Frauenrechte ein, organisiere feministische Lobbyarbeit und findet durch ihre Überzeugungskraft meist offene Türen. Vor allem, sagte sie, sei ihr klar, dass die arabischen Frauen nicht gegen ihre Männer kämpfen, sondern um das Recht mitzureden. Mit ihrem Interesse für die universalen Rechte und Stellung der Frau, provozieren die Teilnehmerinnen anwesende Ehemänner. Lea sass in der hintersten Reihe zusammen mit zwei Frauen, einer Jüdin und einer Araberin, mit denen sie ins Gespräch gekommen war. Der Rest der Sitzreihe war von Männern besetzt, die während dieser frauenrechtlichen Frage- und Antwortstunde mit einem Ruck aufstanden und demonstrativ den Saal verliessen. Lea war schockiert. Die Zeiten für Frauenrechte sind  in der arabischen Gesellschaft steinig, auch wenn es schon Familien gibt, Said und Siham gehören dazu, in denen in jeder Beziehung Gleichberechtigung herrscht. Allerdings sollten wir Juden nicht  überheblich sein, denn auch unsere orthodoxen Brüder vertreten noch heute ähnliche Vorstellungen.

Internationale Politik wurde auch besprochen. Mit dem Irakkrieg sei England wieder zur Kolonialmacht geworden, wird Helen vorgeworfen. Sie antwortete, sie sei zwar mit der britischen Teilnahme im Irakkrieg nicht einverstanden, aber kolonialistische Absichten habe ihr Land keine. Auf die obligate Bemerkung über die Leiden der Palästinenser unter der israelischen Besetzung antwortete Helen, dass die Leiden aller Menschen in der Region schlimm seien und Mitgefühl und Hilfe verdienen. Gerade in Israel setzen sich viele Aktivisten für Frieden und Koexistenz ein. Die kleine Schottin mit den roten Haaren hat diplomatisch Klasse und lässt sich nicht vereinnahmen. An solchen Anlässen teilzunehmen ist für uns ein Geschenk, es hilft mit Vorurteilen aufzuräumen. Wir haben noch über einiges nachzudenken.

Vor einer Woche sass ich bei Segiv dem Coiffeur und wartete auf meinen Haarschnitt. Es traten zwei Damen aus dem arabischen Dorf Arara ein, einem Nachbarort von Umm El-Fahm. Sie wurden von Segiv als Stammkundinnnen herzlich begrüsst. Segiv ist bedingungsloses Likudmitglied, Anhänger Nethanyahus und nicht nur deswegen nicht der hellste, aber er und seine Kundinnen demonstrierten, wie in Israel Normalität gelebt wird. Haare waschen, schneiden, färben und wellen ist eine intime Dienstleistung und mit seinem Erfolg Kundinnen aus dem entfernten arabischen Dreieck zu gewinnen, stieg meine Hochachtung für Segiv.

Zum Abschluss noch etwas wichtiges: Meine Kollegen der lokalen Polizei, zu der ich bald zurückkehren werde, hat einen einzigartigen Erfolg zu verzeichnen. Sie verhaftete gestern einen mobiles Puff, einen Wohnwagen in dem ein Faltbett, eine gut ausgestattete Bar und eine Schachtel Kondome diverser Grössen gefunden wurde. Selbstverständlich sind diese Sexarbeiter- und arbeiterinnen Ausländer – wie jeder, der nicht in unserer weinfröhlichen Stadt wohnt. Wer's glaubt wird seelig.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich bin überrascht, Umm ist ein schönes Städtchen. Ich wünsche Ihnen lieber einen Schreib- als einen Samenstau. Grüsse, Maximilian Teusch