Dienstag, 10. Mai 2011

Yom Ha'atzma'uth

Im Gegensatz zum 1. August der Schweiz erscheint vielen Israelis der jährliche Unabhängigkeitstag ein wiederkehrendes Wunder. Aus einem kleinen Völkchen von 800'000 Juden zur Zeit der Staatsgründung in 1948 leben heute über 7,6 Millionen israelische Bürger – davon etwa 1,5 Millionen Araber, Drusen, Christen und andere Nichtjuden. In den dreiundsechzig Jahren seines Bestehens hat sich die Bevölkerung fast verzehnfacht, die Wirtschaft blüht, der allgemeine Wohlstand ist beträchtlich, auch wenn eine Minderheit gottesgläubiger aber arbeitsscheuer Parasiten für ein statistisch relativ niedriges pro Kopf Einkommen sorgt. Die Schulen waren einst unter den weltweit besten, heute sind sie es nicht - doch scheint der Erfindungsreichtum und die unternehmerische Energie des Durchschnittsisraelis trotzdem zu wachsen. Unter dem Strich darf man mit Recht behaupten, Israel sei eine einzigartige Erfolgsstory. Die Erfolgsstory eines Volkes, dem nur wenige Jahre vor dem Entstehen seines eigenen Landes ein runder Drittel abhanden kam, ermordet durch Anhänger eines Judenhasses, der vor über fünfzehnhundert Jahren in die christliche Welt gesetzt und in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts seinen Zenit erreichte. Israel musste sich in zahlreichen Kriegen behaupten und wurde stark und selbstsicher, eine in dieser Region absolut notwendige Eigenschaft zum Überleben.

Fehlendes Vertrauen

Eben diese Region! Seit Israels Gründung versuchen seine Nachbarstaaten zusammen mit der arabischen Welt, es zu vernichten. Der nichtarabische aber inzwischen fatalislamische Iran gehört heute dazu. Ich bin zur Überzeugung gekommen, die vielen Kriege hätten im Laufe der Zeit auch die Friedenskultur der Israelis verändert. Unabhängig von den seit 1977 meist (nicht immer) schlechten, einem übertriebenen Nationalismus frönenden Regierung, den Glauben an einen möglich Frieden mit der arabischen Welt geschwächt. Nicht nur die Kriege, sondern mehr noch die unablässige antisemitische Propaganda aus dieser Welt hat den Glauben der Israelis an die Möglichkeit eines Friedens untergraben. Natürlich haben wir mit Jordanien und Ägypten offiziell Frieden, der besonders mit Ägypten sehr kalt ist. Es kann sein, dass es tatsächliche kleine Friedensmöglichkeiten gibt – doch heute traut der Durchschnittsisraeli der arabischen Friedensbereitschaft nicht. Auch wenn ich behaupte, dass Nethanyahu und der Rest der rechtsextremistischen Regierung an Frieden grundsätzlich nicht interessiert sind, zeigt das Wahlverhalten in Israel, dass grosse Teile des Volkes sich zur Zeit dafür fürchten, die besetzten Gebiete den Palästinenser zu überlassen (von „zurückgeben“ kann nicht gesprochen werden, denn die Westbank war auch früher besetztes Gebiet, wenn auch nicht durch Israel), einer Grundbedingung für einen Friedenschluss. Heute gibt es in Israel zwei Gründe, die einem tatsächlichen Friedenschluss mit den Palästinensern im Wege stehen:

• Die nationalistische Politik der Regierung Nethanyahu und Lieberman. Ihre Ideologie lässt nicht zu, die Westbank zu verlassen, die dortigen Juden abzuziehen und das Land den Palästinensern zu überlassen. Das hat mit Israels Sicherheitsbedürfnissen nichts zu tun, es ist reine Ideologie. Seit Siedlerverbände Israels Politik in grossem Masse mitbestimmen und friedensbereite Kreise in den vergangenen Wahlen ihren Einfluss fast völlig verloren haben, fühlen sich Nationalisten in der Regierung sicher und versuchen ihre ideologischen Prinzipien durchzuziehen.

• Der zweite Grund, das völlig legitime Sicherheitsbedürfnis des israelischen Bürgers. Er traut den Palästinensern ganz einfach nicht. Das war nicht immer so, doch seit dem Versagen von Camp David mit Clinton, hat sich dieser Vertrauensschwund in Israel verbreitet. Viel guter jüdischer Willen ist verschwunden. Selbst friedensbewegte Israelis in meinem Freundes- und Bekanntenkreis sind von Zweifeln erfasst. Sie glauben aus der Geschichte der vergangenen Jahrzehnte gelernt zu haben, in denen israelische Friedensangebote eine blutige Intifada, tausend israelische Opfer durch Selbstmordterror, Raketen aus Gaza und Selbstverweigerung aus der Westbank zur Folge hatten. Gegen Raketen lässt sich etwas unternehmen. Gegen Judenhass als Schulfach und als massgeblichen Teil des muslimischen Lebens in den Moscheen nicht.

Es liegt an den palästinensischen Politikern Israels Bürger zu überzeugen, dass sie es mit Israel ehrlich meinen, dass sie in arabischer Sprache ihrem Volke dasselbe sagen wie in Englisch und Hebräisch der Welt. Aber es liegt auch an Nethanyahu gegenüber den Palästinenser eine Offenheit zu zeigen, die es diesen unmöglich macht, sich vor Verhandlungen zu drücken. Nethanyahu wäre in einer win-win Situation: käme ein Friedensvertrag zustande hätten beide gewonnen. Könnte Nethanyahu beweisen, dass die Palästinenser tatsächlich keinen Frieden mit Israel und offenbar auf ihren eigenen Staat verzichten wollen – dann hätte Israel gewonnen und die Palästinenser wieder einmal verloren. Doch seit Nethanyahu täglich zu beweisen scheint an einem Abkommen genau so wenig Interesse zu haben, wie sein Partner Abbas, verlieren beide und das „Friedensroulette“ geht in die nächste Endlosrunde. Von israelischer Seite kann dieser Zustand nur durch Parlamentswahlen beendet werden, in denen das nationalistische Lager so viele Stimmen verliert, dass der nächste Regierungschef davon unabhängig werden kann. Dazu müssen sich die linken Parteien wie die Arbeitspartei, Meretz und wohl auch Kadima neu erfinden um genügend Sitze zu erobern. Das sind vielleicht Träume, aber auch Träume können wahr werden.

Chag Sameach!

Keine Kommentare: