Donnerstag, 5. Februar 2009

Die Darfuris von Zichron Ya'akov (Teil 1)

3.2.2009

"Ich freue mich immer auf den nächsten Mittwoch", sagte Kobi, ein Freund in Zichron Ya'akov. Jeden Mittwoch um fünf Uhr nachmittags, geht er mit zwei neunjährigen Buben und seinem Sohn Pizza essen. Die zwei Buben sind Flüchtlinge aus Darfur, die mit ihren Familien ein Heim in Zichron Ya'akov gefunden haben. Vor kurzen ging ich mit zur "American Pizza", ass mit und unterhielt mich mit den zwei sehr fröhlichen und lachenden Jungen. Jetzt verstehe ich Kobi, denn nach dem Horror des Völkermordes in Darfur, den diese Kinder und ihre Familien in den letzten Jahren durchlebt haben, macht es nicht nur Eindruck, sondern auch Freude, mit ihnen zusammen zu sein. (Im Bild: (v.l.n.r.) Amr und Mudassr mit Kobi beim wöchentlichen Pizza essen). Es sind drei darfurische Familien, die in Zichron seit einem Jahr leben, sich gut integriert haben und inzwischen autark geworden sind. Wie kam es dazu?

Die Hintergründe sind bekannt. Im sudanesischen Darfur findet seit Jahren ein rassistischer Völkermord an Schwarzafrikaner statt, egal ob Muslime, Christen oder Animisten. Hunderttausende sind umgekommen, ganze Ortschaften werden zerstört und wer nicht fliehen kann, wird von den Janjaweed, einer von der Regierung des Sudans unterstützten islamistischen Miliz, getötet. Die mir erzählten Grausamkeiten möchte ich an dieser Stelle lieber nicht detaillieren. Flüchtlinge aus Darfur leiden an einem posttraumatischen Syndrom, das, trotz ihrer angeborenen Fröhlichkeit, vor allem die Kinder nicht so schnell loslässt.

In Zichron Ya'akov leben heute drei Darfuri Flüchtlingsfamilien. Die Familien sind Muslime, doch von einer freieren und toleranteren Art, als sie in unserer Region üblich ist. Sie flohen aus Darfur erst in den Sudan und dann nach Ägypten. In beiden Ländern wurden sie verfolgt, verprügelt und ausgegrenzt. Wie viele andere hörten sie von Israel und wollten dorthin fliehen. Sie gaben ihr letztes Geld an beduinische Fluchthelfer aus, die sie in die Nähe der israelischen Grenze im Sinai bringen. Viele dieser Flüchtlinge werden von der ägyptischen Armee gefangen, viele werden von ihr erschossen, egal ob Männer, Frauen oder Kinder. Oft geschieht, dass israelische Soldaten von der anderen Seite der Grenze dies mitverfolgen und nichts dagegen tun können. Wie mir von israelischen Soldaten berichtet wird, schliessen sie und ihre Offiziere sehr oft beide Augen, um Darfurflüchtlinge "ungesehen" durchzulassen, damit sie diese nicht, wie schon geschehen, wieder nach Ägypten ausweisen müssen. Laut Kobi, Professor der Neurobiologie an der Universität Haifa, werden Flüchtlingsfamilien aus Darfur in Israel erst interniert, Frauen und Kinder nach kurzer Zeit, die Männer etwas später, freigelassen. Es wird versucht, meist mit Erfolg, Arbeitsstellen zu vermitteln.

Die drei Familien, alle Muslime, lebten, bevor sie nach Zichron Ya'akov geholt wurden, nach ihrer Entlassung aus der Internierung im Kibbuz Kerem Shalom, nahe dem Gazastreifen. Kerem Shalom lag jedoch im Dauerbeschuss von Hamas-Raketen. Besonders für die Kinder, durch ein posttraumatisches Syndrom belastet, war dies wiederum eine schwierige Zeit – Amr erzählt noch heute in Kerem Shalom habe es jeden Tag "Bum-Bum" gegeben - und der Kibbuz beschloss, die Familie in eine ruhige Gegend zu verlegen. Kobi und seine Freunde boten sich an, da sie sich für eine solche Aktion vorbereitet hatten. Kobi erzählte mir, dass in Kerem Shalom beim Abschied Tränen geflossen seien, man hatte die Familien lieb gewonnen. Die Gruppe mit Kobi, dem Professor, besteht neben ihm aus Sharon, einer Amerikanerin, dem Ehepaar Nicole (Chile) und Steward (USA), dem Buchprüfer Muhammed und seiner Frau Farida aus dem Wadi Ara und Ro'i einem Rechtsanwalt. Was sie motiviert ist die Gleichgültigkeit der Welt gegenüber dem Leiden anderer. Im Gegensatz zu palästinensischen Flüchtlingen, an die Milliarden verteilt werden, gehen Flüchtlinge aus Darfur, wie praktisch alle anderen, leer aus. Weder Europa noch die UNO interessiert sich für sie, das weltweite Gutmenschentum nimmt den Genozid in Darfur nicht wahr. Die Gruppe hatte Geld gesammelt, die Beträge von 100 Schekel bis zu einigen Tausend, je nach finanzieller Kraft des Gönners, und brachten die drei Familien im Hotel Havat Habaron unter, wo sie kleine Apartments erhielten. Schnell fanden die Männer und etwas später die Frauen Arbeit und nach recht kurzer Zeit wurden die Familien selbstversorgend. Nur das israelische Krankenversicherungssystem, erlaubt ihr Status noch nicht. Wie mir Kobi erklärt, habe die israelische Regierung inzwischen ein Gesetz erlassen, das eine grosse Zahl dieser Flüchtlinge als permanente Einwohner anerkennt und ihnen so sämtliche Bürgerrechte (ausser dem aktiven und passiven Wahlrecht) mit allen Sozialversicherungen. Das wird in wenigen Wochen der Fall sein, sodass die Kasse der Betreuungsgruppe entlastet werden wird. Permanente Niederlassung wird aber nur Flüchtlingen vor Völkermord und Rassismus erteilt, Wirtschaftsflüchtlinge erhalten sie nicht.

Unsere darfurischen Familien sind nicht gross. Omar und Malak haben einen Sohn, Amr. Die damals achtzehnjährige Safa heiratete Nassr in Zichron Ya'akov und gebar vor kurzem ihr erstes Kind, ebenso mit dem Namen Malak, im Hillel Yaffe Spital im nahen Hadera. Die dritte Familie, Abdul Shakur und Hadija haben zwei Kinder, den Sohn Mudassr und das Töchterchen Arafa. Muttersprache der Darfuris ist Arabisch.

Bei der Integration spielt Zichron Ya'akovs Bürgermeister Eli Aboutboul, Mitglied der Arbeitspartei, eine sehr wichtige Rolle. Weder sein Sozial- noch das Schulamt waren begeistert, Flüchtlinge betreuen zu müssen, doch Eli befahl ihnen völlig unbürokratisch, die Familien als volle Bürger von Zichron Ya'akov zu betrachten und entsprechend zu behandeln. Es gehe nicht an, dass im jüdischen Staat verfolgten Menschen nicht geholfen werde. Die Kinder gehen vom ersten Tag an in die Schule oder in den Kindergarten. Die gesamten Familien besuchen einen Ulpan (Sprachschule) um Ivrit (Hebräisch) zu lernen, Sie sprechen es heute schon gut, ich merkte sogar, dass die neunjährigen Mudassr und Amr miteinander Ivrith sprechen. Bürger Zichron Ya'akovs bieten sich als Freiwillige an. Sie geben Nachhilfestunden in Hebräisch, sind Babysitter, gehen mit den Familien einkaufen, bis sich diese damit auskennen und pflegen freundschaftliche Kontakte. Morgen werden sie beim Einzug in die eigene Wohnung mithelfen.

Es gibt auch Reibereien. Allerdings kaum mit den Einwohnern unserer Stadt, sondern mit den Einwohnern unserer muslimischen Nachbarstadt Faradis. Wie schon erwähnt, sind unsere Flüchtlinge aus Darfur Arabisch sprechende Muslime, aber der entspannten Art, die von vielen Palästinensern und israelischen Arabern nicht gerne gesehen wird. Eine der drei Frauen wurde im benachbarten muslimischen Faradis angepöbelt und offenbar eingeschüchtert und trägt seither manchmal ein Kopftuch. Doch nach den Erfahrungen mit der Janjaweed in Darfur nehmen sie das gelassen. Allerdings erinnert die Reaktion unserer einheimischen Araber an den arabischen Rassismus gegenüber Schwarzafrikanern, sogar wenn diese Muslime sind – ein eigentlicher Widersinn für eine Religion, die sich als umfassende Weltreligion sehen will. Es erinnert auch daran, dass der arabische Sklavenhandel mit Afrikanern bis heute noch nicht ganz ausgestorben ist.

Aktionen, wie hier über Zichron Ya'akov beschrieben, gibt es in Israel viele. Vor allem sind bei humanen Aktionen dieser Art traditionell Kibbuzim involviert, doch, wie Zichron Ya'akov beweist, helfen auch nicht kommunardische Gemeinschaften vom Tode bedrohte Flüchtlingen, um ihnen ein normales Leben zu verschaffen.

Probleme gibt es auch heute noch genug. Die Regierung fürchtet sich vor einer Überschwemmung durch Flüchtlinge aus der muslimischen Welt. Sie versucht sudanische Wirtschaftsflüchtlinge von Flüchtlingen aus Darfur, die vor dem Völkermord flüchten, auseinander zu halten. Das ist nicht leicht, besonders wenn beide aus demselben Land, dem Sudan, kommen. Es kam und wird auch weiterhin Konflikte zwischen "Staatsraison" und menschlichem und humanem Anstand geben, eine Situation, die sehr stark an die Schweiz erinnert, die sich 1935 bis 1945 erst mit jüdischen Flüchtlingen mehr schlecht als recht auseinandersetzte und später mit Flüchtlingen aus Afrika und dem Balkan konfrontiert wurde und noch wird. In einer Filmreportage der Fernsehsenders ARTE aus dem Jahre 2007 wird die Situation vor zwei Jahren beschrieben, die sich ein wenig geändert hat, werden doch inzwischen Flüchtlinge aus dem Sudan in arabische Wirtschaftsflüchtlinge und nichtarabischen Darfuris, die sich vor Völkermord retten wollen, eingeteilt und nicht pauschal gleich behandelt. Die Letzteren werden eine Chance bekommen, so hoffe ich, in Israel bleiben zu dürfen. Die ersten haben es schon geschafft.

Eine vielleicht gar nicht kuriose, aber verständliche Reaktion einiger Darfurflüchtlinge in Israel während dem vor kurzem zu Ende gegangenen Krieg in Gaza, waren die zahlreichen Anträge darfurischer Männer, in die israelische Armee dienen zu dürfen und für Israel gegen Araber zu kämpfen. Wenn sie in einigen Jahren volle israelische Bürgerschaft erhalten werden, können sie sich auch diesen Traum erfüllen.

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