Donnerstag, 15. Januar 2009

Mehr wäre Dresden

Die Israelis sind völlig anders als wir. Im Gegensatz zu uns,
finden sie menschliche Schutzschilder keine gute Idee.

15.1.2009

Ohne ein Dresden anzurichten, muss, so denke ich und viele meiner Freunde, der kleine Feldzug im Gazastreifen abgeschlossen werden. Ganz wohl ist es damit aber kaum einem Israeli. Es sei denn, die Hamasbrüder wollen weiter sich und den Rest der Zivilbevölkerung opfern. Menschliche Schutzschilder werden ihnen irgendwann einmal ausgehen, sei es aus Mangel an Menschen oder durch eine plötzlich aufkommende Welle palästinensischer Zivilcourage, mit der sich Gazas erwachsene Zivilbevölkerung vor ihre Kinder stellt und ihren Peinigern, der Hamas, weitere "Mitarbeit" verweigert. Die einzig andere Alternative wäre eben ein "Dresden", aber so etwas kommt für Israel nicht in Frage, auch wenn es Hamasapologeten anders sehen wollen.

Israels Vorzeige-Ministerpräsident Ehud Olmert will sich scheinbar ein Denkmal setzen, denn er ist entschlossen, entgegen dem fachmännischen Rat seines Verteidigungsminister Ehud Barak, den Krieg weiterführen. Natürlich muss es für einen Waffenstillstand harte und kontrollierbare Bedingungen geben, wie eine totale Verunmöglichung des Waffenschmuggels und absolut, ich wiederhole, absolut keine Raketen mehr auf Israel. Das sollte möglich sein – hoffen wir wenigstens.

Lea und ich sorgen uns um unseren Enkel Adam, der in Gaza kämpft. Ich schrieb einem Schweizer mosaischen Glaubens, dass in meinen Augen unser Adam mit seinen Kameraden als Soldat im Gazastreifen gegen Jihadisten und Terroristen kämpfend, sein Leben nicht nur für Israel sondern für das gesamte jüdische Volk einsetzt. Dafür wurde ich verhöhnt. Das tut weh, umsomehr, als bei palästinensischen Demonstrationen, der Ungeist des Judenhasses völlig offen aus der Flasche gelassen wird, für jeden zu sehen und zu hören. Das macht Angst, aber zu dieser Angst kann man stehen und nicht nach Ausflüchten suchen. Aber bei weitem nicht alle Schweizer Juden verweigern Solidarität und fühlen sich Teil des ganzen jüdischen Volkes – was sich vielleicht an der Zahl jüdischer Teilnehmer an der Berner Demonstration für Israel am kommenden Samstag, 17. Januar 2009 messen lassen wird. Auf der anderen Seite habe ich Verständnis für jüdische Freunde in der Schweiz, die, wie mir einer davon schrieb, echte Angst vor antisemitischen Attacken hat. Das geht soweit, dass aus diesem Grund auch keine Leserbriefe an die Zeitungen geschrieben werden. Wenn mir jemand sagt, er oder sie habe Angst, respektiere ich das und die damit verbundene Ehrlichkeit. Sie steht im Gegensatz zu jenen jüdischen Helvetiern, die mit vordergründig schlauen Argumenten wie "Das bringt doch nichts", "Wir verurteilen alle Kriege" und ähnlichem, damit den Jihadismus mit seinen Opfern gleichsetzend. Vergessen wir nicht den Angriff auf die World Trade Türme in New York in 2000, nach der die arabische Welt auf den Strassen tanzte und Bonbon verteilte um dann zu behaupten, dieser bisher schlimmste Terrorakt sei das Resultat einer jüdischen Verschwörung. Immerhin sind jetzt SIG und PLJS (Plattform der liberalen Juden der Schweiz) auf den von der GSI (Gesellschaft Schweiz-Israel) geführten Zug aufgesprungen und werden sich an oben erwähnter Demo öffentlich mit Israel solidarisieren. Jetzt bin ich zufrieden.

Ein sehr interessantes Phänomen war bei der Bewegung "Frieden Jetzt" in Israel zu erleben. Ich bin Mitglied und beobachte interessiert, wie sich Mitglieder und Führung verhalten. Eine sehr grosse Zahl Mitglieder hat sich gegen eine Teilnahme von "Frieden Jetzt" an Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza ausgesprochen. Nicht nur sind sie überzeugt, dass dieser Krieg berechtigt ist, sie wollen auch nicht mit Antisemiten, Antizionisten und anderen Fanatikern gemeinsame Sache machen oder gar mit diesen identifiziert werden. Frieden ja, nationaler Selbstmord nein ist die heutige Devise der gesunden Linken, mit der ich mich identifizieren kann. Nicht weniger erfreulich war zu vernehmen, dass in der Schweiz auch Schomrei Schabbat (die Schabbatgesetze befolgende Juden) an der an einem Samstag stattfindenden Demo in Bern teilnehmen wollen, mit der Begründung, dies sei ein Fall von "Pikuach Nefesch" (ein lebensrettender Notfall), denn es gehe um das Überleben des jüdischen Staates. Pikuach Nefesch hat Priorität vor der Heiligkeit des Schabbats, einem jüdischen Prinzip, gemäss welchem Leben vor allem andern geschützt werden muss - eine Sicht, die der von Hamas und dem Jihadismus allgemein, diametral entgegensteht.

In den vergangenen Tagen erhielt ich eine Menge Zuschriften und sogar einen Telefonanruf aus der Schweiz. Mit einer Ausnahme werde ich in meinem Versuch uns Schweizer Juden den Rücken zu stärken, unterstützt. Einige bedankten sich, dass ich sie auf die Berner Demo aufmerksam gemacht habe, andere sandten mir eine Kopie ihres Briefes an die Bundesversammlung, in dem sie sich über die Unflätigkeiten von Geri Müller beschwerten, ich erhielt nette Worte von Unbekannten, die das Tagebuch nur aus dem Internet kennen, viele schrieben, sie würden meine Tagebucheinträge stets an andere weitersenden, andere schrieben über ihre Ängste, mit denen sie zur Zeit konfrontiert werden.

Zum Abschluss ein kleiner Ausschnitt aus einem Interview mit Joschka Fischer aus der letzten Ausgabe "Der Zeit":

ZEIT: Was antworten Sie denen, die beklagen, dass es auf der einen Seite durch Raketenbeschuss in sieben Jahren 32 Tote gibt, auf der anderen über 500 binnen weniger Tage?
Joschka Fischer: Aber was heißt das denn? 32 Tote sind vertretbar – und 500 nicht mehr? Dann wären wir bei einer modernen Form von Auge um Auge, Zahn um Zahn. Nein – die Opferzahlen sind schlimm, aber sie zeigen auch die katastrophale Fehlkalkulation der Hamas. Denn darin drückt sich auch das militärische Kräfteverhältnis aus.

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